Im Alter von 3 ½ Jahren wird der kleine Bertl von der Mutter mit der Hand am Penis getroffen (Cf Freud: betroffen). Sie droht: „Wenn Du das machst, lass ich den Dr. A. kommen, der schneidet dir den Wiwimacher ab. Womit wirst du dann Wiwi machen?“ „Mit dem Popo“ antwortet Bertl ohne das geringste Schuldbewusstsein.
„Habe ich dich denn je … geschlagen?“ fragt der Vater. „O ja, du hast mich geschlagen“ sagt Bertl. „Das ist nicht wahr – wann denn?“ „Heute morgen“ mahnt der Kleine und der Vater erinnert sich, dass Bertl ihn ganz unerwartet mit dem Kopf in den Bauch gestoßen, worauf er ihm wie reflektorisch einen Schlag mit der Hand gegeben hatte.
Der Vater berichtet (11.4.): „Heute früh kommt Bertl wieder ins Zimmer und … erzählt: „Du, ich hab mir was gedacht: ‚Ich bin in der Badewanne, da kommt der Schlosser und schraubt sie los. Da nimmt er einen großen Bohrer und stoßt mich in den Bauch.“
Etwa einen Monat später (2. 5.) kommt Bertl zum Vater und sagt: „Du, ich hab mir heute was gedacht.“ Zuerst hat er’s vergessen, später erzählt er unter beträchtlichen Widerständen: „Es ist der Installateur gekommen und hat mir mit einer Zange zuerst den Podl weggenommen und hat mir dann einen anderen gegeben und dann den Wiwimacher. Und er hat gesagt: Lass den Podl sehen und ich hab mich umdrehen müssen, und er hat ihn weggenommen und dann hat er gesagt: Lass den Wiwimacher sehen.“
Sie werden seit einiger Zeit, d.h. sofort, gemerkt haben, dass der kleine Junge von dem ich spreche der kleine Hans ist, der in Wirklichkeit HERBERT GRAF hieß. Alles lässt darauf schließen, dass er in Wien, wo Namensenden gerne als Kosewort abgekürzt werden, Bert oder Bertl genannt wurde.
Die Textfragmente, die ich ihnen hier zitiert habe, gehören zu den wichtigsten nicht nur in Bezug auf das Problem von Bertl im Besonderen, sondern für die Phobie im Allgemeinen. Es sind die Hauptpunkte, von denen ausgehend wir den Kreislauf nachvollziehen können, den Bertl für die Lösung seines Kastrationskomplexes durchläuft.
Die Frage, die sich diesbezüglich stellt ist: wie kann man nicht nur den Zugang zur symbolischen Kastration erlangen, sondern wie sie als symbolische Gabe vom Vater erhalten, - denn dies allein macht eine sexuierte Identifizierung möglich, - wenn der Vater, der reale Vater nicht „stark“ genug ist, um diese Gabe zu machen; ein Vater der selbst akzeptiert die Kastration zu riskieren und dies dadurch zeigt, dass er sich seiner Frau gegenüber verhält, wie es sich gehört, wodurch er auch seine eigene Abhängigkeit vom Signifikanten zeigt.
Wir haben hier die grundsätzliche fundamentale Frage der Phobie; denn wenn ein solcher Vater fehlt, muss ein phobisches Objekt genau eben den Mangel des Anderen ausgleichen, als einen Ersatz ein Objekt bieten, das die Funktion des Phallus, groß PHI, einnimmt aber nur insofern als es den Wert aller Signifikanten und im Bedarfsfall den des Vaters erhält. (Wir kommen auf diese Frage – Objekt – Signifikant – später zurück.)
Dies ist eine der möglichen Bedeutungen des Satzes von Lacan, der lautet: „Das phobische Objekt ist ein Signifikant für alles (tout-faire), um den Mangel des Anderen auszugleichen.“ Eine weitere Bedeutung ist, dass dieser Mangel des Anderen sich auf die Mutter bezieht. Der Mangel eines Phallus der Mutter, den das Kind ausgleicht, indem es dieser Phallus ist.
Aber gehen wir der Reihe nach vor, und kommen wir zu unserem Text über Bertl zurück. In der ersten Episode „ … der Dr. A wird kommen, der schneidet dir den Wiwimacher ab… „ macht Herbert ein erste Drehung um sich selbst, indem er auf der selben Ebene seiner Mutter antwortet: der Wiwimacher ist nur ein Organ, um Pipi zu machen, das auch die Frauen – die Mutter – hat und seine Funktion kann auch vom Popo ausgeübt werden – jenem Podl, der dann im letzten Traum/Phantasma ganz ersetzt wird. Hier, an diesem Punkt kommt Bertl zu seinen Kastrationskomplex, dessen Angst, wie Freud sagt, sich nirgendwo so offen präsentiert wie in der Phobie, selbst wenn er in der Hysterie ebenso wie in der Zwangsneurose die Basis jeglicher Symptombildung ist. Nicht umsonst ist die Phobie die radikalste Form der Neurose - in ihr wird das Begehren durch die Angst aufrechterhalten – wobei wir umgekehrt sagen können, dass die Phobie ein Schutz gegen die Angst des Verschwindens des Begehrens ist.
Es sind die ersten orgastischen Sensationen, die bewirken, dass Bert seine Hand an den Penis gibt, und die Mutter schreibt dem Dr. A eine eventuelle Kastration zu, einem dritten, sicher, aber nicht dem Vater.
Bertl hingegen tut alles um eine „Bestrafung“ durch den Vater zu provozieren, nicht um einen strengen Vater zu haben, sondern um einen Vater zu haben, der in Bezug auf die Mutter ein Rivale ist. Er zeigt ihm, was es zu tun gilt, wodurch er auch eine Reaktion des Vaters erlangt – der sie in entschuldigendem Ton Reflexreaktion nennt; Bertl stößt ihm den Kopf in den Bauch, wie ihm später im Traum / Phantasma der Schlosser den Bohrer in den Bauch stößt. Bert benützt in der Tat dasselbe Wort „stoßen“, um zu sagen „so musst du’s mit der Mammi machen“. Zeig mir, beweis mir, indem du es ihr beweist, dass du der Träger des Phallus bist, der sie befriedigen kann. Denn nur so kann ein Kind sich gegen die Kaprizen (Launen) jenes Anderen, der die Mutter ist, geschützt fühlen; für Bertls Mutter ist sein kleiner Penis ein niedliches Objekt, ein Pischl, das dem ganzen Bertl seinen Wert verleiht, während die Sensationen, die davon ausgehen verpönt, Schweinereien sind; das Begehren ist also verbannt, ja verachtet. Sein Wiwimacher ist ungenügend – der Vater hat der Mutter ein weiteres Kind geschenkt – und diese Unzulänglichkeit ist noch nicht einmal symbolisiert. Die Phobie ist nichts anderes als ein Schutz gegen das unassimilierbare Begehren, und da wo das Gesetz des Vaters unartikuliert, der Vater mangelhaft ist, wird es in einem Zustand der Angst gehalten.
Wir können bei Freud selbst eine derartige Interpretation der Phobie finden, wenn wir akzeptieren, ihn mit Lacan zu lesen, wodurch wir nie aufhören über das überrascht zu sein, was er ohne sein Wissen geschrieben, gesagt hat.
Zum Beispiel: schauen wir uns an, was er in „Hemmung Symptom und Angst“ (Stdg. Vol VII) über die Phobie sagt. (S.252 „ Es ist … ein voller Triumph der Verdrängung, dass im WORTLAUT der Phobie nichts mehr auf die Kastration hindeutet“) (S. 248) „Wenn der kleine (Hans), der in seine Mutter verliebt ist, Angst vor dem Vater (Freud meint anstatt vor dem Pferd) zeigen würde, hätten wir kein Recht, ihm eine Neurose, eine Phobie, zuzuschreiben. Wir hätten eine durchaus begreifliche Reaktion vor uns. Was diese zur Neurose macht, ist einzig und allein ein anderer Zug, die Ersetzung des Vaters durch das Pferd.“ In anderen Worten, es bedarf eines phobischen Objekts, weil der Vater bei seinem Sohn keinerlei Angst hervorruft, nicht einmal dadurch, dass er der Rivale in der ödipalen Situation wäre. Freud fährt fort: „Diese Verschiebung stellt also das her, was auf den Namen eines Symptoms- und Phobie - Anspruch hat.“
Wie in der Analyse, kommt es auf die Betonung an… liegt sie auf Angst oder auf Vater?... Ich habe das Gewicht auf WENN und ANGST gelegt, und mir so erlaubt eine operative Lektüre zu machen, zu der Lacan uns einlädt, wenn er sagt (in Relation d’Objet), dass wir, um zu verstehen (in der Analyse und bei der Lektüre Freuds), Schemen – so genannte Satzpläne – z. B. umgekehrt, verkehrt sehen müssen, da es doch in der Natur selbst des Signifikanten liegt, die Dinge in einer rein operativen, wirksamen Weise zu präsentieren.
Freud fügt dann in diesem Absatz noch hinzu, dass diese Verschiebung dadurch möglich gemacht wird, dass die „…Spuren totemistischer Denkweise in diesem zarten Alter noch leicht zu beleben sind. Die Kluft zwischen Mensch und Tier ist noch nicht anerkannt…ist“
Das Tier kann also einen „Vaterersatz“ darstellen, wie es eben in jenem Mythos geschieht, von dem Lacan sagt, es sei der einzig wahre Mythos der modernen Epoche und dass Freud ihn geschaffen hat: TOTEM UND TABU. In T & T finden wir viele Passagen über die Phobie, es ist eigentlich ein fundamentaler Text für diese Frage; wer sich mit der Frage des „Kleinen Hans“ beschäftigen, wird nicht umhin können auf T & T zurückzugreifen. Freud tut es selbst in seiner letzten Schrift „Der Mann Moses und die monotheistische Religion“, wo er daran erinnert, dass nach der Vatertötung, dem Inzesttabu und dem daraus oder darauf folgenden Pakt unter den Brüdern auf den Besitz der Mutter und der Schwestern zu verzichten und ein Exogamiegebot einzusetzen, eine Zeit des Matriarchats gefolgt war. In dieser Zeit hatte die Erinnerung an den Vater fortgedauert; es wurde nun als Ersatz für den Vater ein starkes Tier gefunden, dass, sagt Freud, seit jeher gefürchtet wurde. Lesen wir ein bisschen, S. 539 ff Vol. IX „Jeder einzelne verzichtete auf das Ideal, die Vaterstellung für sich zu erwerben, auf den Besitz von Mutter und Schwestern. Damit waren das Inzesttabu und das Gebot der Exogamie gegeben. Ein gutes Stück der durch die Beseitigung des Vaters frei gewordenen Machvollkommenheit ging auf die Frauen über, es kam die Zeit des Matriarchats. Das Andenken des Vaters lebte zu dieser Periode des „Brüderbundes“ fort. Ein starkes, vielleicht zuerst immer auch gefürchtetes Tier wurde als Vaterersatz gefunden. Eine solche Wahl mag uns befremdend erscheinen, aber die Kluft, die der Mensch später zwischen sich und dem Tier hergestellt hat, bestand nicht für den Primitiven und besteht auch nicht bei unseren Kindern, deren Tierphobien wir als Vaterangst verstehen können.“
Wieder möchte ich ihnen die „operative operationelle“, sprich analytische Leseweise vorschlagen, eine Umkehrung in der Signifikantenreihe; Vaterangst können wir hören als „Angst vor dem Vater“ aber ebenso als „Angst des Vaters“; d.h. die Angst, die der Vater selbst empfindet. Und ich denke, oder setze als Hypothese, dass es in der Phobie um beide Ängste geht, vor allem aber um die zweite, die Angst des Vaters selbst. Dieses gibt uns einen wertvollen Schlüssel für die Geschichte des kleinen Hans: das was dem kleinen Bertl den Zugang zur Kastration („begehren können – ohne direkte Angst“) versperrt, das was es nötig macht, die Funktion, die der Vater nicht ausübt durch, mit einem phobischen Objekt zu ersetzen, ist eben gerade die Angst des Vaters selbst. Und um welche Angst kann es sich handeln, wenn nicht um die vor der eigenen Kastration? Wenn er selbst die Kastration nicht aufs Spiel setzt, kann er seinem Sohn die Möglichkeit eines Zugangs zum Begehren und einer Substitution, die wie folgt aussähe nicht geben: der Penis (s. Traum) kann weggenommen werden, um dann symbolisch wiedergegeben zu werden und zwar um für einen „zukünftigen Gebrauch – außerhalb der Familie“ zurückgelegt zu werden.
Es ist die Vaterangst, die Angst des Vaters, die Bertl der MUTTERVERLIEBTHEIT ausgesetzt lässt, auch hier können wir die beidseitige Annahme dieses Ausdrucks lesen: Verliebtheit in die Mutter und Verliebtheit der Mutter selbst (nicht zu vergessen die Beziehung des Vaters zur eigenen Mutter). Er ist der Phallus der Mutter, der ihren Mangel zustopft. In anderen Worten, der Sohn ist die Metonymie des Begehrens der Mutter nach einem Phallus, und nicht die Metapher der Liebe der Mutter für den Vater des Kindes.
Aber wir waren von der dritten ‚Episode’ des Falles des kleinen Hans ausgegangen, der des Phantasmas des Schlossers, der die Badewanne losschraubt, und es ist an der Zeit, darauf zurückzukommen, weil sie die Bewegung ankündigt, die der Umweg, den Bertl einschlägt, um den komplexen Kreis um den Kastrationskomplex zu vollführen – und auch, wenn er ihn nicht ganz durchlaufen hat, wie Lacan erinnert, tut er genug, um den Rhythmus für die Bewegung zu bekommen, die ihn da herausholen und anderswo hinführen wird.
Der Dritte, der erwartet wird, um die Badewanne loszuschrauben ist ein Schlosser, buchstäblich jemand der mit Schloss und Schlüssel zu tun hat, der vielleicht den Schlüssel für die Lösung von Bertl’s Problem hat, oder zumindest von dem Beginn einer Lösung. Er kann aufmachen und losschrauben und dann kann in dem anderen entsprechenden Phantasma der Installateur installieren! Die Instrumente der beiden Handwerker sind gewiss auch nicht gleichgültig: ein Bohrer und eine Zange: Es ist nicht von ungefähr, dass Lacan diese Termini so lange in seinem Seminar R d O kommentiert, um zu dem Schluss zu kommen, dass es die Mutter ist, die geschraubt und gestoßen wird! Dass wir uns also in einem umgekehrten Oedipus befinden: Hans ist am Platz der Mutter und zeigt dem Vater, was er mit der Mutter anstellen soll: ihn ihr nun endlich dahinzugeben, wo es sich gehört!
(Interessant finde ich die Etymologie von bohren: es führt auf ‚mit scharfem Gerät bearbeiten’ zurück, ist aber urverwandt mit ‚bern, berna’ ‚Kluft, Öffnung, Loch’ … Das heißt, das was das Gerät, das einschneidet ist, kann gleichzeitig selbst gespalten, mangelhaft sein – symbolische Kastration.)
Nach diesem Traum kann Bert sich auf den Weg nach der notwendigen Substitution machen, welche ein phobisches Objekt unnötig macht. Sein Podl wird ersetzt, jener Popo, den er selbst in seiner Antwort auf die Frage der Mutter „Womit wirst du dann Wiwi machen…?“ dem Wiwimacher ersetzt hatte. Ihm werden mehrere Umdrehungen abverlangt, um sehen zu lassen und wegzunehmen. In der Tat benutzt er denselben Ausdruck, den er auch benutzt bezüglich dessen, was der Prof. Freud mit ihm machen soll: etwas „wegnehmen“; der Installateur „den Podl wegnehmen“, „der Prof. Freud nimmt mir die Dummheit weg“. Und der Wiwimacher? Das weiß man nicht, der Satz bleibt in der Luft hängen… (“ Lass den Wiwimacher sehen.“) kann auch sein, dass er nicht da ist, wenn er doch symbolisch wieder gegeben wird. Der Weg hat seinen Lauf genommen… ist ins Rollen gekommen.
Lassen wir für einen Moment den kleinen Bertl.
Hoffentlich haben sie nicht gedacht, dass mein wiederholtes Benutzen des Wortes Kreis-Lauf Umdrehung usw. sei das, was diesem Vortrag den Titel, den ich von Lucien Israel ausgeliehen habe, gegeben hat. Der Kreis ist die geometrische Form, die am besten zur Beschreibung der Phobie passt, die geeignet ist, ein Bild von ihr zu geben. Der Kreis hat ein beruhigendes, sich selbst genügendes Inneres, einen Rand und ein Äußeres, das sich oft als beunruhigend, ja feindlich darstellt, wovor der Kreis aber schützt. Es genügt im Inneren eines gewissen Kreises zu bleiben, auch z. B. im Bekanntenkreis, wie es so schön heißt, und man ist unbesorgt, ohne Angst; daher ist der Kreis magisch, es genügt, dass er da ist und der Rest ist ohne Angst für den Phobiker, dessen Angst sich somit auf ein einziges Objekt (auch wenn es zu einer Serie gehören mag, wie wir es oft bei den Tieren phobischer Kinder beobachten können) oder auf eine einzige Situation konzentrieren kann.
Wo aber finden wir diese Figur noch? In den antiken Mythen, und Lacan nimmt sie in seinem Seminar über die Übertragung wieder auf, in einem Kapitel, das er „Die Verspottung des Kreises“ nennt. Dort spricht er nicht nur von dem Mythos des SPHAIROS, sphairos des Poeten des Komischen, Aristophanes, der übrigens Lacan zufolge besser als jeder andere über die Liebe zu sprechen weiß, sondern auch von – dem kleinen Hans und über die Phobie.
Der Kreis, die Sphäre, ist eine Form, die in der antiken Welt sehr häufig vorkommt, ja sie ist dort gar eine Obsession. Es gibt den SPHAIROS von Empedokles, den von Platon im Timeo beschriebenen, und dann den von Aristophanes im Symposium von Platon. Alle haben sie jedoch gemein, die perfekte, sich selbst genügende, zufriedene und volle Form zu beschreiben. Eine Form aber, bei der nichts überlappt, sich nichts antacken lässt, die so perfekt ist, hat ihren Ursprung im Imaginären. Und woher kommt die, sagen wir affektive Zustimmung, die Adhäsion an diese so perfekte Form, wenn nicht aus der Verwerfung der Kastration?
Genau das finden wir auch in Aristophanes, der jenen SPHAIROS beschreibt, von dem Freud in JENSEITS DES LUSTPRINZIPS spricht. Es gibt dreierlei Arten: weiblich, männlich und androgyn; außen haben sie kleine Füße, Glieder, die hervorstehen und sich drehen und sonst sind sie in allem doppelt, aber eines Tages werden sie gespalten. Von dem Moment an, hören die beiden Halbrunden nicht auf, einander zu suchen, zu versuchen, sich in einer verzweifelten Umarmung, an der sie in einer mythischen Zeit sterben werden, wieder zu vereinen. Sie sind zu einem vergeblichen Versuch sich hier auf Erden zu vermehren bestimmt. Wie wird diese Situation gelöst?
Also da, sagt Lacan, spricht Aristophanes genauso wie der kleine Hans!
Es werden ihnen die Genitalien, die sie an einem falschen Ort, außen, aus der Zeit als sie noch ganz rund waren haben, abgeschraubt und auf dem Bauch wieder angeschraubt, und hopp… wie im von Freud beschrieben Traum, im Phantasma Hansens. Wir finden also bei Platon ein wunderbares Beispiel des Kastrationskomplexes, über etwas das abgenommen, weggenommen und „besser“ wieder gegeben werden kann. Was heißt das? Damit eine Liebeserfüllung möglich werden kann, bedarf es etwas, das zumindest mit einer „Operation“, die die Genitalien betrifft, zu tun hat… Lacan versäumt es nicht, darauf hinzuweisen, dass hier die einzige Stelle ist, an der Sokrates von Genitalien bezüglich eines so schwerwiegenden Themas wie die Liebe spricht.
Nach dieser – metaphorischen – Substitution der Genitalien wird also keine Phobie mehr gebraucht, kein phobisches Objekt, das das Fehlen eines realen Vaters, der seinem Sohn die Gabe der Kastration mache, ausgleicht. Das phobische Objekt gleicht den Mangel einer väterlichen Intervention insofern (und nur insofern) aus, als es die Funktion eines besonderen Signifikanten, und zwar den des Namens des Vaters einnimmt. Durch ihn kann das Subjekt zu einem dem Signifikanten unterworfenen Subjekt werden, durch ihn wird dies eingesetzt. Das phobische Objekt ist ein solcher Signifikant; es zählt nicht als materielles Objekt an sich, sondern eben weil es in die Funktion eines Signifikanten gesetzt wurde, wozu gehört, dass es ein aus einer Liste genommenes Objekt ist.
Hierfür gibt es kein besseres Beispiel als ein anderes Tier aus Bertls Liste, die Giraffe, und das was er mit ihr macht, nachdem er von zwei Giraffen geträumt hatte: er erzählt davon, macht eine einfache Zeichnung davon, eine Trasse auf einem Blatt Papier, das dann zu einer Papierkugel „gewutzelt“ wird.
Um hierüber etwas zu sagen, möchte ich daran erinnern, dass Lacan von dem Wappen (blasone) der Phobie spricht (in Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in Psychoanalyse: s122 „Durch Dechiffrierung … des Sprechens hat Freud die ursprüngliche Sprache der Symbole wieder entdeckt, die noch lebendig ist in den Leiden der Zivilisierten… Die Hieroglyphen der Hysterie, die Wappen der Phobie, die Labyrinthe der Zwangsneurose – der Zauber der Impotenz, das Rätsel der Hemmung, die Orakel der Angst – die redenden Waffe des Charakters, das Siegel der Selbstbestrafung, die Verkleidungen der Perversion…), daran erinnern, dass er die Objekte der Phobie also unter den heraldischen Objekte einreiht.
Was ist ein Wappen denn eigentlich? Um zunächst der Bezeichnung selbst zu folgen, hört man im deutschen durchaus den Ursprung in „Waffen“; im französischen Wörterbuch gibt es eine wunderbare Beschreibung von Victor Hugo: „die Hieroglyphen der Feudalität“, eine Definition, die sicher die volle Zustimmung von Jean Allouch fände, der uns in seinem Artikel „LE PAS DE BARRE DELA PHOBIE“ etwa „Das nicht barrierte, schräg gestrichene der Phobie“ oder auch „der Schritt der Barre der Phobie“ daran erinnert, dass die Elemente, aus denen die Wappenzeichen hergestellt sind, Objekte sind, die mit Elementen der gesprochenen Sprache in Verbindung gebracht werden, mit gesprochenen Namen, mit sprechenden Waffen. Sie sind ein Rebus, in dem es den Namen des Besitzers zu lesen gilt. Leider habe ich nur ein französisches Beispiel parat: un rat, un cygne (Ratte Schwan) gibt RACINE Es geht um das Phonetische, sprich Signifikante. Die Zeichnung des Tieres repräsentiert also nicht direkt das Objekt selbst, sondern ist die Niederschrift seines Namens.
Fassen wir zusammen: das phobische Objekt ist Signifikant, es ist aus einer Liste genommen, es ist (wie) ein Wappen(zeichen) und das was zählt, ist nicht das Objekt selbst, sondern die Schrift seines Namens.
Was finden wir da in Freud?
Wenn er vom totemischen, phobischen Tier des Kindes spricht sagt er uns, dass es oft einem Bilder- oder Märchenbuch entnommen ist, dass das Kind also sein Bild gesehen und von ihm erzählt bekommen hat.
Amüsiert erzählt Freud uns weiter, dass einige Listen von existierenden Phobien der Aufzählung der 10 ägyptischen Plagen in nichts nachstehen – nur dass sie länger sind. Wenn man bedenkt, was diese Plagen sind, Insekten, Gewitter, Dunkelheit, usw. kann man Freud nur zustimmen.
Kommen wir aber zu dem Wappentier der Phobie des kleinen Bertl: ich glaube, es können davon zwei bestimmt werden: das Pferd und die Giraffe, und zwar in dieser Reihenfolge, auch weil sie auf einen Fortschritt in der Entwicklung der Behandlung des kleinen Bertl hindeuten.
Ich brauche noch ein wenig ihrer höchsten Aufmerksamkeit, um Ihnen hier meine Hypothese darzustellen.
Das erste Tier, ein PFERD auch PFERDL genannt – hören sie es? ist phonetisch dem BERTL auf die Haut geschrieben.
Sehen wir sein Wappen vor uns? Sein Vorname mit einer kleinen Modifizierung: (im Geschriebenen, die im gesprochenen sicher oft geschludert wird)? Die Ersetzung des ersten Buchstaben, mit einem der sich F – V wie Vati ausspricht – und was für ein Pferd: ein HERR Pferd.
Das zweite Wappenzeichen, die Giraffe, die Herbert in der Zeichnung über dem Bett neben dem Elefanten gesehen hat – er wählt, sei es für die phobische Episode wie auch im Traum der gewutzelten Giraffe - die Giraffe!, die auch das Tier der ersten Zeichnung, die der Vater macht ist. Vor allem aber ist es das Tier, das er selber zum Signifikanten macht, durch eine Zeichnung und dann die Reduktion in eine Papierkugel auf die er sich setzt, um sie zu besetzen, pardon besitzen.
Wie aber hört sich Giraffe ausgesprochen an …. Graf – Nachname von Herber Graf.
Es scheint ein noch reichhaltiger Signifikant zu sein als das Pferd.
In der Zeichnung, die der Vater davon anfertigt fehlt Herberts Meinung nach der Wiwimacher – und so bittet er den Vater, ihn hinzu zu fügen. In der Szene gibt es ein kleines Hin und Her zwischen den beiden: „Zeichne doch auch den Wiwimacher“. „Zeichne du ihn selbst.“ Am Ende ist es also Herbert selbst der ihn zeichnet – wie einen Phallus, d.h. eine signifikante Barre, zunächst klein, dann länger mit dem Kommentar „Der Wiwimacher ist länger“. (S. 19 -/ 104)
In dieser Geste können wir m. E. nach schon das lesen, was dann zur Phobie führen wird: Herbert erwartet diesen signifikanten Phallus vom Vater zu erhalten, damit er sich in eine Liste einschreiben und von der Mutter lösen kann. Herbert aber muss sehen wie er selber fertig wird, um das Objekt signifikant zu machen.
Das Tier Giraffe ist überdeterminiert: es enthält ebenfalls das was die Beziehung zur Mutter charakterisiert: ich bin versucht ein Wortspiel zu machen und darin GIER wie auch AFFE zu hören: wenn man sich nicht identifizieren kann, kann man nur nachahmen; die Gier ist die des mütterlichen aufgerissenen Mundes, die ihn auffressen kann – dies gehört zu Herberts Angst, und ist eine typische Kinderangst.
Als heraldisches Objekt ist die aus der ersten Zeichnung des Vaters genommene Giraffe die, die auch das Wappenzeichen der „Heilung“ darstellt und den Namen Herberts schreibt: es ist das Wappen, in dem der Querbalken, die Barre da ist, um Allouch Metapher wieder aufzunehmen LE PAS DE BARRE DELA PHOBIE. Undwenn das „ohne Querbalken“ den Mangel der metaphorischen Funktion des Vaters benennt, ist es im Falle des kleinen Herbert genau eben das phobische Objekt, welches ihm als ganz besonderer Signifikant die symbolische Dimension als solche öffnet, ihn als Subjekt begründet.
Die Giraffe erhält einen Balken, der mit dem des Wappens vergleichbar ist, allerdings mit einem ganz besonderen Wappen.
In der deutschen Ausgabe der Schriften werden wir im Begriffsregister des Band 2 daran erinnert, dass die Barre des schräg gestrichenen Subjekts, $, die Barre des Wappens des Bastards ist. Ein Bastard ist ein vom Vater anerkanntes illegitimes Kind, dessen Wappen von dieser Anerkennung zeugt! So würde ich den Satz lesen, dass das „ohne Barre“ den Mangel der väterlichen Metapher benennt.
Im Falle des Bastards empfängt der Sohn von einem Vater, der dem Signifikanten unterworfen – barriert - ist, der sich als begehrend zu zeigen wagt, die Barre als Anerkennung, dass auch er also „barriert“ sein kann. Ich würde sagen, wir könnten hierin ein Beispiel der Gabe der Kastration sehen.
Wenn die Giraffe von Herbert und auf eine gewisse, auf ihre Art barriert ist, dann deshalb, weil es da einen Vater gab wie den Prof. Freud… „
Um es mit Lacan zu sagen (aus „Die Bedeutung des Phallus“ Schriften Band 2 S. 128) „Er (der Phallus) wird … zum Balken, der in der Hand dieses Daimons (der Scham) das Signifizierte schlägt und es dadurch als bastardhafte Nachkommenschaft seiner signifikanten Verkettung kennzeichnet.
So entsteht ein Verhältnis der Komplementarität in der Instauration des Subjekts durch das Signifikante, das sowohl dessen Spaltung erklärt wie auch die Bewegung des Eingreifens, in der diese sich vollzieht…
Der Phallus ist der privilegierte Signifikant der Markierung, in der der Part des Logos mit der Heraufkunft des Begehrens konvergiert….“
Und der kleine Herbert gibt dafür ein Beispiel…
Johanna Vennemann
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